Interview mit Stephan Schell – Teil 2

20.7.2016

"Reduzierungen und Personalisierungen von Tickets sind weder Maßnahmen, um Gefahren zu reduzieren noch stehen diese im Verhältnis zu den Geschehnissen, die sich hierzulande bei den Fußballspielen zutragen."

Hier lest Ihr Teil 2 unseres Interviews mit Stephan Schell:

 

Neben wenigen anderen Fanszenen haben die FC-Fans  auch noch in dieser Saison in Hoffenheim gezeigt, dass sie mit dem Hoffenheimer Modell, Profifußball zu betreiben, nicht einverstanden sind. Wie empfindest du die Entwicklung Hoffenheims in den letzten Jahren und hast du den Anschein, dass die Akzeptanz gegenüber solchen Clubs gewachsen ist?

Leider sind es nur noch wenige Fanszenen die sich gegen Hoffenheim auflehnen. Und mit RB Leipzig in der ersten Liga wird es sich wahrscheinlich noch mal um eine Stufe abschwächen. Wobei ich es trotzdem nicht so bezeichnen würde, dass Hoffenheim akzeptiert wird. Ich kann mir schwer vorstellen, dass es Fanszenen in Deutschland gibt, die sowas wie Hoffenheim mit ihrem Verein auf eine Traditionsstufe stellen würden. Doch so wirklich gepöbelt wird nur noch in ganz wenigen Kurven, wenn Hoffenheim kommt. Und wenn wir ehrlich sind geht unsere „Kritik“ auch selten über Gepöbel oder einem Text hinaus. Inhaltlich könnte da schon noch mehr gehen aber das Interesse fehlt leider. Ich erinnere mich da an unsere Ausstellung zum Thema Werksvereine zum Ende letzter Saison die recht schlecht besucht war. Anhand dieser Beispiele kann man erkennen, dass es schwer ist die große Masse für dieses Thema zu sensibilisieren. Und dann gibt es ja auch noch die Gegenargumente wie beispielsweise, dass man Wolfsburg und Leverkusen gewähren lässt und bei Hoffenheim und Leipzig die dicke Show abzieht. Ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Wenn man dann noch mit einbezieht, dass der heutige Fußballverein weniger mit Verein als mit einem Unternehmen zu tun hat, bewegt man sich als Traditionsromantiker schnell im Bereich der Doppelmoral. Trotzdem werde ich nicht anfangen sowas wie Hoffenheim in Köln freundschaftlich zu empfangen oder von der Emotionalität auf eine Stufe mit z.B. Frankfurt zu stellen. Plastik bleibt Plastik. Und wie die bundesweite Entwicklung zu Hoffenheim aussieht, muss mich dabei erstmal nicht interessieren. Wir werden weiterhin kritisch sein und Aktionen durchführen.

 

Im Verlauf dieser Saison war die Reduzierung des Gästekontingentes ein Thema. Gerade der 1. FC Köln musste hierunter leiden, indem man fünf Prozent der möglichen zehn Prozent Zuschauerkapazität für Gäste in Mönchengladbach zugelassen hat.  Nach der Reduzierung habt ihr als Südkurve 1. FC Köln e.V.  den Entschluss gefasst, nicht ins Stadion zu fahren sondern durch eine Demo in Mönchengladbach-Rheydt auf die Problematik aufmerksam zu machen. Wie bewertest du im Rückblick diese Entscheidung und den Erfolg der Aktion?

Nachdem wir teilweise berechtigte Kritik an der Art und Weise der Kommunikation unserer Vorgehensweise zum Hinspiel einstecken mussten, wollten wir es beim Rückspiel besser machen. Daher gingen wir frühzeitig in die Diskussionen. Innerhalb der AG Fankultur wie auch beim Südkurvenstammtisch waren danach natürlich immer noch nicht alle unserer Meinung. Aber der Gegenwind war schon weniger als beim Heimspiel. Ich war ehrlich gesagt schon überrascht, dass der Verkauf der Tageskarten nach unserer Meldung dem Stadion fern zu bleiben so schleppend verlief. Ich glaube aber auch, dass hier mehrere Aspekte als nur die Tatsache, dass die Leute kein Bock auf ein Derby mit Auflagen haben, eine Rolle spielten. Unabhängig davon war es uns wichtig an dem Tag trotzdem zu zeigen, dass man uns nicht einfach so eingrenzen oder wegretuschieren kann. Außerdem wollten wir die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren das Derbys mit Auflagen keine Derbys sind. Der richtige Weg diese Ziele erreichen zu können, war für uns die Durchführung einer Demonstration in relativer Nähe zum Stadion. Das hat nicht jedem geschmeckt, aber das sollte es auch gar nicht. Ganz ehrlich: Wer hätte denn von der Demo gesprochen, wenn wir diese in Köln durchgeführt hätten? Ob Demo, Streik oder Boykott: Der Stachel muss dort reingeballert werden wo es weh tut sonst kann man sich den ganzen Aufwand gleich sparen. Dass wir mit dieser Einstellung richtigliegen, sah man nach der Demo am Schweigen derjenigen, die sich regelmäßig für solche Auflagen aussprechen. 

 

In unserem Interview mit Jürgen Mathies (Präsident der Polizei Köln) bewertete er die Gästekontingentreduzierung „als eine Möglichkeit, Gefahren zu reduzieren“.  Kannst du diese Sichtweise der Polizei nachvollziehen?

Nein. Reduzierungen und Personalisierungen von Tickets sind weder Maßnahmen, um Gefahren zu reduzieren noch stehen diese im Verhältnis zu den Geschehnissen, die sich hierzulande bei den Fußballspielen zutragen. Mich nerven diese Sicherheitsdiskussionen nur noch. Spätestens nach der unsachlichen Debatte im Sommer 2012 sollte das Thema doch mal langsam durch sein. Natürlich passieren auch mal Sachen beim Fußball die für das gesellschaftliche Auge da draußen nicht nachvollziehbar sind. Das wird immer so sein und man wird auch immer darüber sprechen. Aber das Gehype darum fällt mir schon schwer auf den Wecker. Allein schon der Begriff „Gefahrenreduzierung“ soll dem Bürger da draußen offenbar suggerieren, dass es dauerhaft am Spieltag scheppern würde. Ich glaube das die meisten die regelmäßig ins Stadion pilgern durchaus wissen, dass dies nicht der Realität entspricht. Die Situation bei Fußballspielen in Deutschland ist sicher! Wer etwas anderes behauptet, hat entweder keine Ahnung oder möchte von anderen Problemen in diesem Land ablenken, die in der Regel sehr wenig mit Fußball, den Vereinen und deren Fans zu tun haben.

 

In der neuen Saison wird RB Leipzig erstmals in der Bundesliga spielen. Nachdem sich Fanszenen der zweiten Liga mit der Thematik befasst haben, sehen sich  nun auch die Fanszenen der Bundesligaclubs damit konfrontiert, einen richtigen Umgang mit einem solchen Fußballclub zu finden. Wie bewertest du die Beteiligung eines solchen Fußballclubs in der ersten Fußballliga und glaubst du, dieses Modell könnte Zukunft haben?

Für mich ist RB Leipzig kein Fußballclub, sondern eine Marketingstrategie, die eine neue Dimension der Kommerzialisierung unseres Fußballsports darstellt. Dabei ist die Öffentlichkeitsarbeit von RB Leipzig nicht mehr mit der von Hoffenheim vergleichbar. Manchmal macht es den Anschein, dass die ihre Finger überall drin haben. Bei jedem Text der da draußen erscheint, jedem Spruchband oder Zeitungsartikel gibt es unmittelbar Gegenwehr der Öffentlichkeitsgarde des Brauseherstellers. Ich bin zwar wenig in den sozialen Netzwerken des Internets aktiv, aber auch ich kriege mit welche Pseudodiskussionen dort geführt werden, wenn mal wieder jemand gegen RB geschossen hat. Der „Verein aus dem Osten“ der „anders“ sein möchte… das ich nicht lache! RB Leipzig dient einzig und allein Marketingzwecken. Ohne eigenständige, gewachsene Identität. Mitgliederrechte und Demokratie sind mit dem Hund raus. Fans haben ja auch die Fresse zu halten, wenn man mit Europa lockt. Ey, die können sich mit ihrem Netzwerk so viel Spieler ergaunern wie sie wollen: Eine Leidenschaft, die einen 1. FC Köln umgibt, können sie nicht kaufen. Zypern als Werbepartner mit dem Dom im Hintergrund, kaputtes Faxgerät und der betrunkene Spieler im Gleisbett. Ja verdammt nochmal genau diese FC-Typischen Fehltritte aus vergangenen Tagen gehören eben mit zu dieser Leidenschaft. Das sind Ecken und Kanten, die zu unserer Identität gehören und die unseren 1. FC Köln erst zu einem Traditionsverein mit seiner ganz eigenen Geschichte werden lassen. Und solange es uns gibt werden wir für die Wahrung dieser Identität kämpfen. Es kann nicht sein, dass Retortenprodukte unseren Fußball als Kulturgut zerstören.

 

Wie geht ihr als Fanszene mit RB Leipzig um? Wird sich möglicherweise, wie im Falle Hoffenheims, eine schleichende Akzeptanz solcher Fußballclubs über Jahre einstellen?

Wenn es nach mir geht fährt keine Szene hin. Alle Erstligaszenen tun geschlossen so, als wenn es nur 17 Bundesligavereine gibt. Ich weiß, völlige Utopie und die Märtyrerrolle will ich denen nicht auch noch zuspielen. Eine perfekte Vorgehensweise gibt es bei diesem Thema meines Erachtens nicht. Nur manchmal weiß ich selber nicht mehr was wir als Fans noch veranstalten können, damit wir nicht immer nur als Nebenprodukt gehandelt werden. Klar machen wir auch genügend Fehler. Dass wir das Thema RB Leipzig erst jetzt behandeln ist zum Beispiel einer. Aber was nun? So tun als wenn alles easy wäre und brav hinfahren? Oder hinfahren und stören? Nicht hinfahren und Karneval feiern, weil die DFL sich mit ihrem Spielplan mal wieder was Lustiges hat einfallen lassen? Ich weiß es nicht. Die Frage wie wir die Spiele begleiten ist in der Kölner Fanszene noch nicht wirklich geklärt. Es werden keine normalen Spieltage für uns sein, soviel ist sicher. Sicher ist aber auch, dass wir möglichst etwas nachhaltig durchziehen möchten. Eben auch damit sich keine Akzeptanz einstellen wird. Ansonsten kann ich noch keine Prognose abgeben.

 

In Deutschland stand diesen Sommer alles im Zeichen der Fußball-Europameisterschaft 2016 in Frankreich. Verfolgst du neben dem Vereinsfußball auch die Spiele der deutschen Nationalmannschaft?

Ich hab mir die Spiele angeschaut, mehr aber auch nicht. Dieses ganze Kasperletheater was um ein solches Turnier gemacht wird, ist mir schon lange zuwider. Die UEFA liefert Bilder von einem Trainer, der sich an den Eiern spielt, aber strahlt keine Bilder aus, bei denen die Kaufkraft des Produkts Schaden nehmen könnte. Währenddessen beschweren sich die Fernsehanstalten hierzulande, dass sie diese Bilder nicht zeigen können, um dann wieder zu sagen, dass man solche Bilder nicht sehen möchte. Sorry, da reicht mir das Alltagsgeschäft der Bundesliga schon vollkommen aus, um mal wieder vor der Entscheidung zu stehen, ob ich jetzt Lachen oder Kotzen soll. Von Korruption und sonstigen dunklen Machenschaften der Verbände fange ich lieber gar nicht erst an. Ich mache aber auch keinen von der Seite an der dieses Turnier mit mehr Emotionen verfolgt. Es waren ja auch viele Kölner da. Den Jungs gönne ich den Spaß, den sie dort sicherlich hatten. Auf jeden Fall finde ich das immer noch besser als Public Viewing.

 

Du bist bei jedem Heim- und Auswärtsspiel im Stadion, um den FC spielen zu sehen. Wie fühlt sich die Sommerpause ohne die wöchentlichen Spieltage für dich an?

Nach all den Jahren genieße ich in der Sommerpause natürlich auch mal den ein oder anderen Tag an dem ich mich nicht um den FC und seine Fanszene kümmern muss. Allerdings gibt es im Sommer trotzdem genügend Termine die eingehalten werden müssen. AG Fankultur, Treffen der Südkurve 1. FC Köln, Südkurvencup und so langsam gehen wir ja auf das Jubiläum zum 20. Bestehen der Wilden Horde zu. Unser Fanzine, das Mentalita Kölsch, haben wir nach langen Jahren auch endlich mal wieder fertig stellen können. Da kann dann auch im Sommer trotz Pause so einiges zusammen kommen.

 

Vielen Dank für das Interview!